Was dem Wasserstoff zum Durchbruch fehlt

Auto Brennstoffzelle

Die Brennstoffzelle polarisiert: Die einen sehen im Wasserstoff eine endlos verfügbare Ressource, mit der emissionsfreier Verkehr Wirklichkeit werden kann. Skeptiker halten den Wasserstoffantrieb dagegen für maßlos überschätzt und zu teuer. Sie sehen in ihm keine Alternative zu reinen batterieelektrischen Autos oder Verbrennerfahrzeugen.

Fakt ist: die Technologie funktioniert schon heute. Die letzte Hürde auf dem Weg zum Antrieb für die Massen ist die günstige und umweltfreundliche Erzeugung des nötigen Wasserstoffs. Ist sie genommen, könnte das den Verkehr zu Wasser, zu Land und in der Luft tiefgreifend verändern.

Das Herzstück eines Wasserstoffantriebs ist die Brennstoffzelle. Darin wird durch die chemische Umsetzung von Wasserstoff und Sauerstoff elektrische Energie gewonnen, die dann einen Elektromotor antreibt. Der dafür nötige Wasserstoff wird gewonnen, in dem man Wasser in die Bestandteile Sauerstoff und eben Wasserstoff aufspaltet – die sogenannte Elektrolyse. Nutzt man dafür erneuerbare Energien aus Wind- oder Wasserkraft, oder Solarenergie, spricht man von “grünem” Wasserstoff. Er ist emissionsfrei, aber mit einem Preis von rund sechs Euro pro Kilogramm relativ teuer.

Die andere, günstigere und derzeit meistgenutzte Herstellungsmethode ist die sogenannte Dampfreformierung. Dabei wird aus Erdgas und Wasser in einem chemischen Prozess Wasserstoff gewonnen. Mit diesem Verfahren kostet ein Kilogramm davon mit rund drei Euro zwar nur die Hälfte, allerdings fallen in der Herstellung Emissionen an. Von den weltweit jährlich rund 65 Millionen Tonnen Wasserstoff werden laut Umweltbundesamt 96 Prozent durch Dampfreformierung von Erdgas hergestellt, nur vier Prozent durch Wasserelektrolyse.”Wasserstoffmobilität ist schon heute möglich, allerdings zu anderen Kosten als wir es gewohnt sind”

“Wasserstoffmobilität ist schon heute möglich, allerdings zu anderen Kosten als wir es gewohnt sind”

André Thess, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Die höchste Hürde ist es, den Wasserstoff günstig und gleichzeitig klimaneutral herzustellen. “Wasserstoffmobilität ist schon heute möglich, allerdings zu anderen Kosten als wir es gewohnt sind”, sagt André Thess vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die heutige Mobilität beruhe auf der Verfügbarkeit von sehr preiswertem fossilem Benzin – zulasten der Umwelt. Durch technische Verbesserung sei es aber möglich, die Kosten für grünen Wasserstoff weiter zu reduzieren.

Damit sich das Brennstoffzellenauto etabliert, müssten laut Thess außerdem Gesetze, wie beispielsweise eine CO2-Bepreisung, dafür sorgen, dass konventionelle Antriebe unattraktiver werden. “Dann wird fossiles Benzin genauso verschwinden wie die Telefonbücher vor zehn Jahren. Die benutzt heute auch keiner mehr”, so Thess.

Wasserstoffgewinnung ist energieintensiv

Ein weiteres Problem ist der Energieverlust bei der Herstellung von Wasserstoff. Wissenschaftler schätzen, dass letztlich nur rund 25 bis 35 Prozent der ursprünglich eingesetzten Energie zur Erzeugung des Wasserstoffs im Elektromotor des Brennstoffzellenautos ankommt. Vor allem dieser Aspekt wird immer wieder gegen die Brennstoffzelle ins Feld geführt – verbunden mit dem Hinweis, dass ein solcher Energieverbrauch erst dann zu tolerieren ist, wenn alle Stromerzeugung über erneuerbare Energien läuft. Bis dahin solle man doch bitteschön mit Verbrennungsmotoren weiterfahren. Nur: Beim konventionellen Verbrennungsmotor beträgt der Wirkungsgrad nur rund 20 Prozent. Anders sieht es nur bei batterieelektrischen Elektroautos aus: Dort kommen 70 bis 80 Prozent der Ausgangs-Energie bei den Rädern an.

“Die Elektrolyseverfahren von Wasserstoff haben in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht”, sagt Thess. Dadurch würde sich auch der Wirkungsgrad bei der Herstellung stetig verbessern. Allerdings sei es irreführend, darauf den Fokus zu legen. “Wenn man die Antriebsform allein nach dem Wirkungsgrad beurteilt, hätte der Verbrennungsmotor nie gebaut werden dürfen”, sagt Thess. Beim Wasserstoffantrieb müssten vorrangig ökologische Maßstäbe gelten.

Wann der Brennstoffzellenantrieb massentauglich wird, lässt sich laut Thess derzeit noch nicht seriös beantworten. Wenn es soweit ist, könnte das Element mit der chemischen Formel H2 sogar Lkw, Flugzeuge, große Passagierschiffe und die Züge des Nah- und Fernverkehrs antreiben.

Zahlreiche Projekte dafür gibt es schon:

Schifffahrt

Die Technische Universität Berlin hat vergangenes Jahr das Brennstoffzellen-Boot Elektra vorgestellt. Das nach Angaben der Hochschule weltweit erste emissionsfreie Kanalschubboot soll von 2020 an auf der Strecke zwischen Berlin und Hamburg fahren. Das rund 20 Meter lange und 8,5 Meter breite Schiff soll dann sogenannte Leichter schieben, schwimmende Transporter für Stückgut, Kies, Schrott oder Kohle. Eine Besonderheit: Der Wasserstoff für die Brennstoffzelle wird in insgesamt 120 Flaschen transportiert, die 750 Kilogramm fassen. Statt das Schiff zu betanken, werden die Behälter im Zielhafen einfach ausgetauscht.

Auch in Norwegen wird Wasserstoff im maritimen Bereich erprobt. Dort entwickelt die Werft Havyard neue Schiffe, die ab 2021 den traditionellen Liniendienst der Hurtigruten ergänzen sollen, die ehemaligen Postschiffe, die von Bergen im Westen nach Kirkenes im hohen Norden fahren und Passagiere und Güter transportieren. Die neuen Schiffe sind mit mehreren hintereinander geschalteten Brennstoffzellen ausgerüstet, die bis zu 3,2 Megawatt leisten können. Bis 2026 will das norwegische Parlament entlang der Westküste eine Null-Emissionszone einrichten, in die nur noch Elektroschiffe einfahren dürfen.

Das britisch-amerikanische Kreuzfahrt-Unternehmen Aida Cruises will 2021 erstmals Brennstoffzellen-Technik auf einem großen Passagierschiff testen. Der nötige Wasserstoff soll durch die Dampfreformierung direkt an Bord gewonnen werden. Ein sogenannter Methanol-Reformer erzeugt dafür aus einem Methanol-Wasser-Gemisch den nötigen Wasserstoff. Im Gegensatz zum reinen Wasserstoffantrieb entsteht in diesem Prozess CO2. Verwendet man allerdings Methanol, das mithilfe von Wind- oder Solarkraft erzeugt wurde, ist der CO2-Ausstoß deutlich geringer als bei konventionellen Schiffen. Eine Methanol-Brennstoffzelle kommt inzwischen auch in der Kleinserie eines Sportwagenherstellers zum Einsatz.

Laut Umweltbundesamt erfolgen etwa 90 Prozent des Welthandels über den Seeweg. Mehr als 90.000 Schiffe unterschiedlicher Größe sind auf den Weltmeeren unterwegs, darunter Frachtschiffe, Passagierschiffe oder Schlepper. Zusammen stoßen sie etwa eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid aus – etwa drei Prozent der gesamten vom Menschen verursachten CO2-Emissionen. Die Schifffahrt gehört damit neben dem Straßen- und dem Flugverkehr zu den größten Emittenten aller Verkehrsträger.

Schienenverkehr

In Deutschland pendeln seit 2018 zwischen Bremervörde, Cuxhaven, Bremerhaven und Buxtehude die weltweit ersten Wasserstoffzüge. Die Modelle des französischen Herstellers Alstom kommen mit einer Tankfüllung rund 1000 Kilometer weit. Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) hat bereits 14 weitere Wasserstoffzüge bestellt, die von 2021 an weitere Dieselloks ersetzen sollen. Beim Rhein-Main-Verkehrsverbund in Hessen sollen 27 Brennstoffzellenzüge Ende 2022 auf vier Regionalzuglinien in Betrieb gehen. Auch andere Bundesländer sind mit Alstom im Gespräch.

Von den fast 40.000 Kilometern Schiene in Deutschland sind rund 60 Prozent elektrifiziert – also mit einer Oberleitung ausgestattet. Auf den restlichen, meist Regional- und Nebenstrecken ohne Oberleitungen, fahren dieselelektrische Züge. Dort erzeugen die Dieselmotoren mithilfe eines Generators die Energie für die Elektromotoren, die den Zug antreiben. Um diese Dieselloks zu ersetzen und Emissionen einzusparen, hat die Bahn zwei Möglichkeiten: die Oberleitungen weiter auszubauen oder Züge mit Wasserstoffantrieb einzusetzen. “Allerdings ist der Antriebsstrang mit Brennstoffzelle aktuell etwa doppelt so teuer wie die konventionelle Dieselvariante”, sagt Joachim Winter, Zugforscher beim DLR. Die Preise würden künftig jedoch deutlich sinken. Eine weitere Elektrifizierung des Schienennetzes durch Oberleitungen ist deutlich kostenintensiver. Experten veranschlagen die Kosten dafür pro Kilometer Schiene mit zwei Millionen Euro. Hinzu kommen hohe Wartungskosten. Batterieelektrische Züge mit eigenem Akku an Bord sind keine Alternative, da die Akkus das Fahrzeuggewicht stark erhöhen und die Reichweiten derzeit noch zu gering sind.

Straßenverkehr und Transport

Auch im Schwerlastverkehr wird der Wasserstoff wichtiger. So entwickelt das US-Start-up Nikola Motors derzeit speziell für den europäischen Markt das Modell “Nikola Tre”. Der wasserstoffbetriebene Lkw soll eine Reichweite zwischen 800 und 1200 Kilometern haben und der Tankvorgang weniger als 15 Minuten dauern. Laut dem Unternehmen sollen zwei Versionen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 18 und 26 Tonnen auf den Markt kommen. Die Produktion soll 2022 beginnen.

Der Hersteller Hyundai ist deutlich früher dran. Das Unternehmen hat bereits einen Lkw mit Brennstoffzellenantrieb entwickelt, dessen sieben Tanks 35 Kilogramm Wasserstoff fassen, die für eine Reichweite von rund 400 Kilometern ausreichen. Vom “H2 Xcient” genannten Modell will Hyundai in diesem Jahr 50 Exemplare in die Schweiz liefern. Bis 2025 soll die Schweizer Flotte sogar auf 1600 Stück anwachsen. In Deutschland ist der Lkw mit einem Gesamtgewicht von 18 Tonnen (mit Anhänger 34 Tonnen) noch nicht zugelassen. Allerdings soll die deutsche Ausführung nach Angaben von Hyundai zeitnah nach der Markteinführung in der Schweiz folgen.

Toyota kooperiert dagegen mit dem US-Truck-Hersteller Kenworth und hat einen Brennstoffzellen-Lkw für den Fracht- und Güterverkehr entwickelt. Die elektrische Energie liefern zwei Brennstoffzellen, die auch im Pkw-Modell Toyota Mirai verbaut sind. Der Wasserstoff an Bord des 15-Tonnen-Lkw reicht für rund 480 Kilometer und damit nach Angaben von Toyota für das Doppelte des üblichen Tagespensums im Verteilerverkehr. Insgesamt zehn Exemplare entstehen bei Kenworth. Sie sollen im Hafen von Los Angeles eingesetzt werden.

Flugverkehr

“In der Luftfahrt könnte Wasserstoff im Kurz- und Mittelstreckenbereich künftig eine Rolle spielen”, sagt Thess vom DLR. Bereits 2016 starteten die Forscher dort mit einem viersitzigen Flugzeug mit Brennstoffzelle zum Jungfernflug. Das Modell HY4 hat eine Reichweite von 750 bis 1500 Kilometern, abhängig von Flughöhe, Geschwindigkeit und Zuladung. Derzeit entwickelt das DLR Brennstoffzellen für größere Maschinen. Demnach könnten schon im kommenden Jahrzehnt Flugzeuge mit bis zu 80 Passagieren an Bord rein elektrisch rund 800 Kilometer zurücklegen.

Auch der Flugzeughersteller Airbus kündigte kürzlich an, bis 2035 das erste hybrid-elektrische Flugzeug in den Dienst nehmen zu wollen. Als Treibstoff zieht das Unternehmen unter anderem Wasserstoff in Erwägung. Experten halten dieses Ziel allerdings für sehr ambitioniert und datieren den Start von großen Passagiermaschinen mit Brennstoffzellentechnik erst auf das Jahr 2050.

Jährlich benötigt die Luftfahrt rund 300 Millionen Tonnen Kerosin. Laut des International Council on Clean Transportation (ICCT) wurden dabei 2018 rund 918 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen, was 2,5 Prozent der globalen CO2-Emissionen ausmacht. Rund 80 Prozent des durch den Luftverkehr ausgestoßenen Kohlendioxids verursachten Passagierflugzeuge, den Rest der Frachtverkehr.

Fahrradverkehr

Das französische Unternehmen Pragma Industries bietet ein E-Bike mit Wasserstoff an. Das “Alpha” genannte Zweirad soll laut Hersteller zwei Liter Wasserstoff fassen und eine Reichweite von 150 Kilometern haben. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 25 Kilometern pro Stunde.

Das Fraunhofer Institut hat eine Brennstoffzelle in der Größe eines herkömmlichen E-Bike-Akkus entwickelt. Diese lässt sich auf dem Gepäckträger montieren und liefert den nötigen Strom für den Antrieb. Insgesamt wiegt das System rund 3,3 Kilogramm.

Während in den genannten Bereichen noch geforscht wird, ist die Wasserstofftechnik im Pkw-Bereich bereits ausgereift. Allerdings ist die Nachfrage nach H2-Modellen noch relativ gering. Das liegt auch am spärlichen Modellangebot reiner Wasserstoffautos und deren vergleichsweise hohen Preis. In Deutschland fahren derzeit nur der Toyota Mirai (78.600 Euro), der Hyundai Nexo (ab 69.000 Euro) und der Mercedes GLC F-Cell mit Wasserstoff. Das Beratungsunternehmen McKinsey rechnet bis 2025 mit 20 weiteren Modellen, die von den Herstellern geplant sind.

Einen etwas anderen Weg geht der Sportwagenhersteller Gumpert mit dem Modell Nathalie, einem Auto mit Methanol-Brennstoffzelle. Das Methanol wird im Wagen auf rund 300 Grad Celsius erhitzt und in Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff gespalten. Im Gegensatz zum reinen Wasserstoffauto entsteht hier also CO2. Allerdings verwende der Hersteller nur grünes Methanol, das mit regenerativen Energien gewonnen wird. “Dadurch ist der Treibstoff CO2-neutral”, sagt Firmenchef Roland Gumpert in einem Interview mit dem SPIEGEL.

Laut McKinsey wurden im Jahr 2019 rund 7000 FCHEV-Autos, also Wasserstoff-Fahrzeuge, verkauft – weltweit. Die meisten davon in Südkorea, in den USA und in Japan. Die Analysten rechnen bis 2030 dann mit 10 bis 15 Millionen FCHEV-Autos und 500.000 Lkw weltweit auf den Straßen und einem Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro.

Größte Wasserstoffanlage in Hamburg geplant

Um in Deutschland eine gemeinsame Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, haben sich die fünf deutschen Küstenländer (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Niedersachsen und Bremen) zusammengeschlossen. Hamburg plant zudem die weltweit größte Anlage für Wasserstoff-Elektrolyse im Hamburger Hafen zu errichten. Dort könnten künftig zwei Tonnen Wasserstoff pro Stunde produziert werden – eine Menge, mit der ein Auto rund 200.000 Kilometer weit fahren könnte.

Wann in Deutschland, Europa oder weltweit die konventionelle Mobilität durch umweltfreundliche Alternativen wie Brennstoffzellen abgelöst wird, lässt sich laut dem DLR-Experten Thess nicht seriös hervorsagen. “Am Ende ist die Energiewende im Verkehr eine ökonomische Frage, die davon abhängig ist, wann eine Mobilitätsform durch technischen Fortschritt günstiger wird als die andere”, fasst es Thess in wissenschaftlicher Nüchternheit zusammen.

(Der Beitrag erschien im SPIEGEL am 23. März 2020. Autor: Christian Frahm.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert